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Antisemitismus & Jüdisches Leben

Bild Mikroprojekt 5 – Antisemitismus & Jüdisches Leben

Zwischen Mai und September 2024 hat sich eine ehrenamtliche Recherchegruppe zusammengefunden, um das jüdische Leben in der Region aufzuarbeiten und uns neue Einblicke zu ermöglichen.

Die Geschichte des jüdischen Lebens im Erzgebirge ist von stetem Wandel, Verfolgung und Neubeginn geprägt. Jüdische Siedlungen in Sachsen lassen sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen, doch wiederholte Verfolgungen und Verbote jüdischer Niederlassungen, wie im 14. Jahrhundert, führten dazu, dass das Erzgebirge lange Zeit nahezu „judenfrei“ blieb. Erst unter August dem Starken im 18. Jahrhundert konnten sich Juden langsam wieder in Sachsen niederlassen. Das Erzgebirge jedoch blieb aufgrund der Bergordnung, die bis 1867 galt und Juden die Niederlassung untersagte, weiterhin eine verschlossene Region. Erst nach dem Ende dieser Gesetzgebung konnten jüdische Kaufleute und Unternehmer in der Region Fuß fassen. Doch auch dieses wiedererblühende jüdische Leben wurde durch die Verfolgungen der Nationalsozialisten nahezu vollständig ausgelöscht.

Ein herausragendes Beispiel für das jüdische Leben im Erzgebirge ist die Geschichte der Familie Messerschmidt aus Zschopau. 1902 zog Isaak Messerschmidt mit seiner Frau Agnes von Berlin nach Zschopau und eröffnete das Spezialmodegeschäft „Messerschmidt & Co.“. Das Geschäft wuchs, doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann der Niedergang. Nach Isaaks Tod führte Agnes das Geschäft weiter, bis die Familie es 1939 verlor. Tragischerweise wurden Charlotte Messerschmidt und ihr Ehemann Alfred Hirsch 1942 ins Ghetto Riga deportiert und ermordet. Ein anderer Teil der Familie, die Karmanns, konnte ins Ausland fliehen. Nach dem Krieg wurde das Geschäft erst 1996 an die Nachkommen zurückgegeben.

Eine weitere wichtige jüdische Familie der Region sind die Schockens. In Oelsnitz gründete Salman Schocken das erste Kaufhaus, das später den Grundstein für eine der bedeutendsten Warenhausketten Deutschlands legte. Schocken war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern auch wissenschaftlich interessiert und modernisierte den Verkaufsprozess. Das Kaufhaus in Oelsnitz, zunächst im Jugendstil und später im Bauhaus-Stil, spiegelte diesen Innovationsgeist wider. Doch auch der Schocken-Konzern wurde unter den Nationalsozialisten enteignet, und die Familie emigrierte. Salman Schocken baute später in Palästina und den USA seinen Verlag wieder auf. Seine Nachkommen betreiben bis heute die Zeitung Ha'aretz in Israel, was den bleibenden Einfluss der Familie unterstreicht.

Die jüdische Geschichte im Erzgebirge ist geprägt von Verfolgung, aber auch von wichtigen Beiträgen jüdischer Kaufleute zur regionalen Wirtschaft und Kultur. Trotz der fast vollständigen Zerstörung des jüdischen Lebens während der Shoah lassen sich noch Spuren dieses Erbes finden. Die Geschichten der Familien Messerschmidt und Schocken stehen beispielhaft für den Kampf ums Überleben, für Wiederaufbau und Verlust. Sie verdeutlichen die engen Verbindungen zwischen jüdischen Gemeinden und der Entwicklung der Region. Heute ist es an uns, diese Erinnerungen zu bewahren und die Bedeutung jüdischen Lebens in der Geschichte des Erzgebirges weiterzutragen.

Wir danken der ehrenamtlichen Recherchegruppe, die diese wertvolle Arbeit geleistet hat. Mäx, Margit, Krisitin, Alena und Georg: Ohne Euch wären viele dieser Geschichten vielleicht für immer im Dunkeln geblieben.

Resonanzraum Erzgebirge e.V.

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